Samstag, 19. Juni 2010

NICHT EINSCHLAFEN LEUTE!

Zug fahren.
Ich tue es fast jeden Tag. Mit abwechselnder Begeisterung.

Einerseits eine wunderbare Sache: Einsteigen. Zurücklehnen. Ausspannen. Je nach Lust und Laune lesen, Musik hören, sich mit dem freundlichen Sitznachbar entspannt unterhalten, Gegend anschauen, Augen zumachen, arbeiten - was auch immer.
Andererseits eine manchmal nervige Sache: Zu wenig Plätze im Feierabendverkehr, duschresisitente VorSichHinStinker und DeoAbstinenzler, Klassenausflug der Unterstufe - schlimmer noch der Oberstufe, HandyDauerTelefonierer, Klo kaputt, Ausfall der Klimaanlage im Hochsommer.

Und manchmal trifft man auf ganz Menschen, die in all dem Trubel ihre Äugelein einfach mal schliessen, ins Nirwana abdriften und munter drauf los schlafen.
Auf so einen Kumpanen traf ich gestern. Legt euch jetzt relaxed zurück und lasst euch von der Sternenzauber-Tante berichten:

Da war doch dieser Extrazug gestern, 10 Minuten Zeitgewinn für mich! Toll! Nicht allzu viele Menschen ... die kommen ja erst in 10 Minuten, was so viel heisst wie: Sitzplatz-Garantie! Also nix los, rein ins Abteil und Platz am Fenster gesichert - und erst noch Fahrtrichtung, dann wird mir nicht übel.
Wer weiss, vielleicht sehe ich ja auch mal wieder ein Reh am Waldrand stehen, oder Füchslein übers Felde jagen. Zumindest und auf jeden Fall Amseln. Oder Spatzen. Komme rechtzeitig zum Frisör und werde zeitgerecht auf Bella Donna getrimmt. Schätzu wird staunen.
Der Abend hatte also richtig gut begonnen.

Ein jüngerer Mann, so um die 30 fragt mich, ob der Platz mir gegenüber noch frei ist. Ich nicke, er setzt sich. Wir begutachten uns kurz um abzuchecken ob ein Gespräch gewünscht wird.
ICH: *Lächel* - was Redebereitschaft signalisiert.
ER: *GÄHN* - das war deutlich!


Habe ihn mir dann auch etwas genauer begutachtet, der Arme sah wirklich und wahrhaftig aus, als hätte ihn eine Kuh erst gründlich durchgekaut, dann durch sämtliche ihrer 7 Mägen schon mal vorverdaut - und ihn dann angeekelt ausgespuckt ... nein, ausgewürgt haben muss. Anschliessend wankte der Mann wohl tagelang alleine und verlassen durch Regen und Match, hungrig, durstig. Am Ende seiner Kräfte.

Meine eben getätigten Beobachtungen wurden dann auch sofort in zumindest 3 Punkten bestätigt: er ass hastig ein Sandwich (ergo hungrig), trank gierig eine Apfelschorle (ergo durstig). Anschliessend gähnte er (ergo müde), schloss die Augen und lehnte sich im Sitz zurück. Nach wenigen Minuten sackte sein Kopf nach hinten in den Nacken, Mann öffnete seinen Mund meilenweit und pennte den Schlaf des Gerechten.
Echt ... der Mund war dermassen aufgerissen ... ich sah sein Gaumensegel im Atemwinde flattern, das Halszäpfchen hüpfte fröhlich in der Gegend rum, die Mandeln waren noch vollzählig und ich meine sogar gesehen zu haben, dass sein Blinddarm eine leichte Entzündung aufweist. Dies sollte er aus meiner Sicht abklären lassen. Dringend.
Auf Höhe Münsingen, also auf halbem Wege, war der Mann dann in Ontario angekommen und sägte da den gesamten Baumbestand rücksichtslos nieder. Dermassen, dass ich nahe dran war, mit Greenpeace Kontakt aufzunehmen. Leute, es nahm Töne ... Formen an ...!

Und noch bevor ich irgendwie in diese Richtung etwas unternehmen konnte, röchelte mein Gegenüber beängstigend, ruckte kurz aber heftig im Sessel, öffnete für eine Zehntelsekunde die Augen. Ich lächelte. Er schloss die Augen gleich wieder. Sein Kopf pendelte wie losgelöst auf den Schultern, um dann 20 Sekunden später nach vorne runter, auf seine Brust, zu knallen. Ich machte mir in diesem Moment echt Sorge, ob es ihm bei dieser groben Aktion nicht etwa den Atlas (oberster Wirbel, wird auch "Nicker" genannt) rausgehauen hatte! Nun ja, so schlimm kann es nicht gewesen sein, er pennte nämlich fröhlich weiter. Allerdings schien jetzt sein Gaumensegel gequetscht und die Bäume in Ontario wesentlich stabiler - oder bei der Kettensäge besagten Mannes muss irgendein Motorendefekt eingetreten sein - es tönte quietschig, sehr gepresst und irgendwie unnatürlich.
Das lag vielleicht am Wetter ... in Ontario wird nämlich ein unsäglicher Sturm aufgekommen sein, es muss so sein - seine Lippen zitterten flatterten jetzt nämlich bei jeden Atemzug wie Espenlaub.

Ein Anblick für Götter! Und Göttinnen!
Und ich dankte in diesem Moment Gott innerlich auf den Knien, dass ich nienienie im Zug schlafe! Lehnte mich bei diesem Gedanken selbstzufrieden in die Polster zurück. Und lächelte.

Irgendwie wirkte das ganze Szenario auf mich doch sehr einschläfernd. Sein regelmässiger Atem, das Lippengeflattere, verbunden mit den balzartigen Schnatterlauten und dem eindrücklichen Blasebalg-Backenblähen ähnlich dem des auffälligen Fregattvogels.


Die enorme Ruhe welche der Mann dennoch ausstrahlte ... sie griff über. Auf mich.
Nur einen kleinen Moment die Augen schliessen - in 5 Minuten muss ich ja dann eh Aussteigen. Dachte ich so bei mir.
An diesen letzten Gedanken erinnere ich mich noch.
Dann an nix mehr.

Erst wieder, als der vis-à-vis-Mann mich an der Schulter leicht schüttelte: "Halllloooo ... Siiieeeee ... wir sind in Thun ... Endstation ... sie sind wohl eingeschlafen". Sagte er und grinste dazu.
Den Sabberfaden im linken Mundwinkel wischte ich unauffällig weg. Lächelte ein wenig verlegen und ordnete mein sperrig Gefieder.

OB ER MICH BEOBACHTET HAT?

13 Kommentare:

die Malerin hat gesagt…

Liebe Fränzi,

was stellst Du wieder mit mir an, mir kullern die Lachtränen wieder übers Gesicht, reiche mir ein Kleenex. Ach, Du bist sooooooooo herrlich mit Deinen Geschichten, das es ein Genuss ist sie zu lesen. Was mache ich nur, wenn ich jetzt bald etwas über 3 Wochen in Urlaub bin, ohne Internet und ohne Deine Geschichten. Vielleicht sollte ich Urlaubslektüre bei Dir beantragen. Grins, grins............

ganz liebe herzige, summige Hummelgrüße
Lydia

Cloudy hat gesagt…

Trotz Schläfrigkeit eine sehr erfrischende Story dieser Begegenung zweier Menschen, die sich lechzend gegenüber saßen und nix anderes zu tun hatten, als einzupennen. Der Knülle-Knilch hat aber bei auch sonst gutes Glück gehabt, denn ein richtig scharfes Mütterchen hätte ihn auch gut und gerne ausrauben können...
Sei lieb gegrüßt
Kvelli

Anonym hat gesagt…

Hallo Cara, gell du hast einfach ein bisschen Sleeping Beauty gespielt!?! gib's zuä!!!
Ich hätte dich ja gerne gesehen, was ich bei deinem Gegenüber nicht mehr zu sagen brauche, da du ihn mir ja bis zum erblindeteten Därmchen beschrieben hast!! Was natürlich, wie kann es auch anders sein, ein herzhaftes Durchschütteln aller meiner inneren Organe bis in die äusserste Peripherie zur Folge hatte. Merci beaucoup, jetzt muss ich heute nichts mehr für meine Fitness tun!!! Aber der armer Kerl, was der wohl alles erlebt, erlitten oder getrieben hat......
Das werden wir NIE erfahren, denke ich!!!
So jetzt muss ich wieder los bin bekanntlich nicht die schlafende Schöne!
Lass dich von deiner Männertruppe verwöhnen, damit du deine Ressourcen voll deiner überschäumenden Phantasie zukommen lassen kannst!
Ganz herzlich und wie immer bbbb

Dies und Das vom Neckarstrand hat gesagt…

Oh nee, Franziska,
die Beschreibung des sägenden Ungetüms - einfach toll.
Und dank des netten, Ruheausströmenden Mannes biste mal nach Thun gekommen. (Übrigens einer meiner Lieblingsorte.)
Ich habe gelacht - bis mir die Tränen kamen - und das bei meinem Fletschauge. Aber es war zu schööööön.
ein schönes Wochende wünscht Dir
Irmi
PS: Danake für Deinen lieben kommentar bzgl. Alterwerden. Werde es mir überlegen, nicht gerade orange - bläulich ginge bei dem grauen Haar ja auch.

Heidegeist hat gesagt…

Wenn man die Augen schließt, sieht man es regelrecht vor sich.....Aber an einschlafen denke ich als letztes bei deiner Geschichte. Im Gegenteil, bin irgendwie trotz des Schietwetters jetzt richtig gut drauf. LG Inge

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Liebe Lydia
Es ist mir das grossartigste Vergnügen, wenn Du nach Kleenex rufst! Herrlich, ich sehr Dein Gesicht regelrecht vor mir, Dein Lachen.
Himmel - 3 Wochen Ferien! - und dann noch so ganz ohne mich? Und ich ganz ohne Dich? Was machen wir denn da.
Ja, ich muss jetzt wirklich ein Buch schreiben, es veröffentlichen und Dir dann eines schenken. Das kannst Du dann in die Ferien mitnehmen. :-)
Ach Du ... meine Lieblingshummel :-)
Herzlichst und auch mit lachender Freude -
Dein Fränzi Sternenzauber

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Lieber Kvelli
Nix scharfes Mütterchen! Anteilnehmende, harmlose, nette, freundliche, topseriöse Dame mit Hang zum fröhlichen Sein. Gaaaanz unspektakulär. Und total unauffällig.

Aber jetzt wo Du es sagst ... ich könnt mir ja so eine Art Nebenverdienst "erarbeiten" Spezialisiere auf die Zugschläfer und lad dann mal all meine BlogfreunInnen zum Feste ein! :-)

Schönes Wochenende, ganz doll liebe Grüessli und ein verschmitztes Lachen
Franziska Sternenzauber

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Sälü Bella
Dich heute zum Lachen gebracht zu haben, war mir Bedürfnis und Freude! Ja, wenn man bedenkt, wieviele Muskeln beim Lachen beansprucht werden ... dann müsste mein Blog eigentlich von den Krankenkassen quersubventioniert werden. Ich bin sozusagen das erste Online-Fitness-Studio! Darauf ist bloss noch niemand gekommen.
Der Männertrupp ist abwesend - Max hat morgen Geburtstag, Katerli-Schatz hilft heute beim Kegeln aus - und geht Einkaufen! Uff, bin ich froh muss ich nicht.
Ich hab Wasch- und Putztag. Und Lesetag. Und Schreibetag. Und Wasauchimmertag. Das ist gut so.
Dir einen wuba (wunderbaren) Samstag, lass es Dir gut gehen und - einfach schön, dass es Dich gibt!
Mit Mü und Grü und so
Dis Fränzi Schtärnezouber

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Liebe Irmi
Danke immer wieder für Deine Worte. Dich spürt man in und zwischen den Zeilen. Würdest mir fehlen, wärst Du nicht da.
Meine Lachgeschenke finden sich in Deinen Lachtränen so gerne wieder!
Ein wunderbares Geben und Nehmen, welches mir ganz doll wertvoll ist. Danke.
Immer alles Liebe, alles Gute, mit Lächeln und Herz
Franziska Sternenzauber
PS: Ja, blau käme bestimmt auch gut! Nur Mut!

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Du liebe Inge Du!
Wetter ist bei uns auch seeehtr mässig, Laune aber prima. Dir die Wolken zur Seite geschoben zu haben, so ein bisschen, und einen lächelnden Sonnenstrahl geschickt zu haben ... welch Kompliment. Das lasse ich mir genüsslichst auf der Seele zergehen.
Im Gegenzug lache ich und fühle mich gut, wenn solch liebe Worte den Weg dann zu mir finden. Ich danke. Und bin glücklich darüber!
Herzlichst und mit Grüessli
Franziska Sternenzauber

Gledwood hat gesagt…

Was für eine unterhaltungsame Geschichte!
Hier habe ich Nachtigallen aber keine Hirschen! Davon können wir nur träumen!
Ich liebe mit dem Zug fahren.
So bequem, so glatt, so kultiviert... wenn man den Zug nach Frankreich nimmt! Die andere britische Bahnen sind rostig, langsam, und überfüllt! Der Zustand unsrer Bahn ist eine Verlegenheit.
Sind 50% der Schweizen Eisenahnen nicht in privaten Hände?
Ich habe bemerkt, normalerweise niemand spricht zu Fremden, außer wenn mann ins Ausland fahrt. Vor 20 Jahren habe ich den Bus nach Paris genommen ~ es war wie eine große Party, mit alkoholischen Getränke, Sandwiches und Patisserie. Ganz wunderbar!

Gledwood hat gesagt…

~Sind 50% der Schweizen Eisenbahnen nicht in privaten Hände?

Ach, typisch!!

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Lieber Gledwood
Danke vielmals! :-)
Ja, du hast Recht - Zug fahren, gerade in der Schweiz, ist echt ne tolle Sache. Guter Service zu einem sehr guten Preis.
Ja, bei uns sind viele Bahnen in privater Hand, alles bestens.
Übrigens: Du beherrscht wirklich die deutsche Sprache gut! Kompliment!
Herzlichst und mit lieben Grüssen
Franziska Sternenzauber

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