Freitag, 16. Juli 2010

DIE GEÄNDERTE FORMATION

Die letzten Tage waren für mich sehr schwer. Es hat viele Tränen, Gedanken, Energien gekostet. Und es wird noch lange so bleiben.
Doch daneben läuft ja noch "das normale Leben" - oder so ähnlich. Deshalb heute auch mal wieder eine Alltagsgeschichte mit Schmunzel-Effekt. Das tut uns Allen gut.
Viel Spass, meine Lieben!


"Werte Bahnreisende, der ICE 06.33h ab Thun via Basel, Frankfurt, Mannheim, Berlin, fährt heute in geänderter Formation. Reisende 1. Klasse steigen bitte in Sektor C und D ein, Reisende 2. Klasse bitte in den Sektoren A und B. Der Speisewagen befindet sich in Sektor B".
Wenn diese Durchsage sich des Morgens durch meinen - noch nicht voll einsatzfähigen - Gehörgang windet, löst das immer irgendwie Alarm aus. Das ist so, als würde die Ambulanz mit dem Martinshorn völlig unerwartet aus einer Nebengasse schiessen und mein Reaktionsvermögen auf die Probe stellen.

Es ist einfach ... einfach ... einfach ... unschweizerisch! Wir Volk von Zufriedenen, Stillen, Zurückhaltenden, Freundlichen, Sachlichen - wir stehen jeweils kurz vor 06.30h aufgereiht wie die Kugeln am Rechenschieber auf UNSEREM Platz am Bahnsteig. Jawoll, ihr lest richtig. Mit der Zeit ordnet sich das Schweizer Volk der tagtäglich Reisenden, regelt sich, teilt sich ein. Für Ordnung haben wir viel übrig!
Ich z.B., ich stehe immer links vor dem Warteraum Anfang Sektor C, angelehnt an das Geländer bei der Treppe, welche zur Unterführung geleitet. Seit ich da stehe - und ich stehe schon mehr als 5 Jahre da - ist dieser Platz wie für mich reserviert, ohne Absprache, ohne Zusatzkosten. Schräg vorne links neben mir wartet immer die junge Frau mit den Grossmama-Jupes und dem Dutt Marke "Wareinmal-undistewigher", rechts von mir der Herr, der mich immer an unseren verwaschenen Flokatiteppich auf dem Balkon erinnert. Wobei, im Unterschied zum besagten Herrn, wasche ich den Flokati regelmässig! Und er riecht auch gut. Der Flokati.

Zurück zur Ansage. Kaum hat die nette Lautsprecherdame ihren Text fertig ... kommt Bewegung in die Sache. Das Schweizer Volk der Zufriedenen, Stillen, Zurückhaltenden, Freundlichen und Sachlichen setzt sich in Bewegung. In geordneten 2er Reihen. Ich - der zweitklassigen Gesellschaft angehörend - reihe mich nahtlos ein und wandle still hinter dem Flokatimann und vor der Dutt-Dame. Wie eine Ameisenstrasse gehen die Erstklassigen von A/B nach C/D, die Zweitklassigen umgekehrt. Alles geht sehr gesittet zu und her. Kein Rempeln, kein Schubsen, kein Drängeln - nur stilles, pures Entsetzten, in unserer Morgenroutine gestört zu werden.


Und so kam es dann auch, dass ich völlig ungewohnt im Abteil mit mir Unbekannten sass. Dummerweise ein RUHEABTEIL. Bereits mein freudiger Gruss (ich als Menschenfreundin fische immer nach einem Lächeln) wurde mit einem gewissen Unmut und hochgezogenen Augenbrauen registriert. Ab da habe ich nur noch ganz flach geatmet. Die Türe habe ich aus Lärmpegelgründen ganz leise zumachen wollen. Nach 3maligem Wiederaufknallen entschied sich der resolute Herr vis-a-vis meines Sitzplatzes zum mindestens so resoluten Zuknallen - begleitet von Kopfschütteln und "Tztztzt!".
Da war die Türe dann auch wirklich zu. Sehr zu. Dazu komme ich noch.
Die guten-Morgen-SMS an mein Katerli-Schätzi ... getippt auf lautloses Tatsch-Scriiiin in mein neues Henry-Handy, wurde ebenfalls von "wiekönnenSieaberauch!"-Blicken begleitet, vom besagten Herrn.
Da lautloses Sterben mir in diesem Augenblicke unmöglich schien, lebte ich halt als Dorn in seinem Auge weiter.

Während ich, wie erwähnt, flach atmend und nicht Wimpern klimpernd die Zeitung im Zeitlupentempo und möglichst unauffällig umblätterte, sah ich im Augenwinkel, dass dem resoluten Herrn so langsam aber sicher die Äugelein zufielen. Sein Kopf begann haltlos wie ein PingPongball auf Wasser mit Wellengang in alle Richtungen zu kippen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er so richtig dolle und mit Anlauf in die Fensterscheibe knallt. Kaum gedacht - schon hat's gekracht.
Seine Wange klebte noch schier an der Scheibe, als er mit weit aufgerissenen Wagenrad-Augen erwachte. Ich sah in vorwurfsvoll, kopfschüttelnd an und kommentierte diese seine Aktion mit einem hörbaren "Tztztzt!".
Natürlich habe ich hinterher noch mit den Augen gezwinkert. Ich hoffe, er hat verstanden.


In Bern angekommen, wollte der Resolute mit viel Elan und Schwung die Abteiltüre öffnen, welche er ja genau so auch geschlossen hatte - schon nur, um sich von mir zu befreien. Tja ... irgendwas an der Verriegelung schien allerdings bei seiner Aktion vollends in die Binsen gegangen zu sein. Und so wurden wir letztendlich vom Kondukteur befreit.
Ich habe anschliessend selbstredend dem Resoluten den Vortritt gelassen. Mit den Worten "The stage is yours".
Diesmal habe ich nicht gelächelt ...

... ICH HABE SCHADENFROH GEGRINST!

12 Kommentare:

Schneeflocke hat gesagt…

Liebste Franziska, wieder ein herrliche Geschichte - ich saß das so ganz alleine und habe laut und herzhaft gelacht *ggg*.

Wie schön, was du so alles erlebst - da muss man ja lachend durchs Leben gehen. Allen Widrigkeiten zum Trotz!

Herzliche Grüße, weiterhin Kopf hoch und viel Mut und erhalten dir dein heiteres Gemüt.

Birgit

Anonym hat gesagt…

Ach du sternenverzauberte Lebenskünstlerin!!! wunderbar wie du jeder möglichen und auch unmöglichen Lebenssituation noch ein charmantes Lächeln abgewinnen kannst!!
Ich sehe dich immer plastisch vor mir und freue mich bis ich mir die Zeit für deinen Post nehmen darf... also ich darf ja immer, aber eben ich bin ja hier nicht vor dem Compi angepflanzt...du gehôrst unterdessen du meinem Verdauungsritual - ja du bist mir eine Verdauungshilfe und ich vermute, dass ich bald rank und schlank bin und dir vielleicht dann meine Kleidchen vererben kann... bin zwar keine schicke Lady, aber für den Balkon reicht es allemal!!
So nun wünsche ich dir einen dynamischen Nachmittag und viel Mut und Kraft!! und grüsse auch deinen lieben Kater herzlich von mir!!
Von ganzem Coeur alles Liebe und Gute!!!
bbbbbbb

Johanna Gehrlein hat gesagt…

Hallo Franziska,
na, da muss ich wohl Schweizer Blut in den Adern haben, auch ich habe gerne überall "meinen Platz". Es macht das Leben irgendwie geordneter und stressfreier. Außerdem hat man ja Erfahrungswerte, von wo aus man was bestens erreicht.
Die Geschichte im Ruheraum ist wieder herrlich ..."Da lautloses Sterben mir in diesem Augenblicke unmöglich schien, lebte ich halt als Dorn in seinem Auge weiter." solche Stellen möchte ich auswendig lernen um sie irgendwann mal bei passender Gelegenheit auf Lager zu haben.
Wünsch dir und dem Katerli alles Gute, Johanna

Elisabeth J.-S. hat gesagt…

Das ist schön, dass Du trotzdem noch Deine netten, lustigen Geschichten erzählen kannst.
Du bringst mich zu Lachen.
Oh, ich befürchte, dass ich sofort die Schweiz verlassen müsste...ich bin doch so chaotisch. Und dann der Robert dazu...auf einem Bahnsteig: "Robert! Geh von der Kante weg, lauf nicht zwischen den Menschen durch, lass die Finger von diesem Koffer die Dame schaut schon komisch, hör bitte auf an der Lampe rumzusteigen, es ist nicht nett wenn man die Damen frägt, warum sie so einen komischen Rock anhaben....ROBERT!
Durchsage: Robert und Robert Mama...bitte nehmen sie den nächsten Zug nach München (geht da überhaupt einer?). Ich merk mir Deinen Satz mit dem lautlosen Sterben. Wir sind auch oft Dornen in anderen Augen!

Viele liebe Grüße
Elisabeth

Bine hat gesagt…

Herrrrrrlich. Du schreibst immer wieder Geschichten solcher Art, mit denen man seine Umwelt nert, indem man ganze Textpassagen vorlesen muss.

Und Elisabeth: mein kleiner nordischer Erich und ich sind auch immer wieder mal ein Piecks im Auge anderer, aber man darf sich einfach nicht zuviele Gedanken machen um die Meinung von Menschen die man 1) nie wieder sieht oder 2)die man einfach ignorieren kann (siehe Anneliese).
Kopf hoch, dein Robert ist ein lieber Junge und wenn wir alle nur brav und ordentlich währen, würde unsere Welt so langweilig sein, man glaubt es kaum.

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Liebes Flöckchen
Oh - es tut so gut, ab und zu, in all den Wirrungen, auch herzlich lachen zu können. Und ich erstaune mich immer wieder, dass die vermeintlich "balanen" Situtionen des Lebens so herrlichen Stoff hervorbringen!
Danke für Deine liebe Worter!
Herzlichst - Deine Franziska

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Liebes Brischittchen!
Manchmal erstaune ich mich selber. Eigentlich wäre die Zeit, mir einen Strick zu stricken - aber da ich nicht stricken kann, habe ich beschlossen, den Problemen als gestandene Frau entgegen zu treten. Und Kraft zu sammeln. Wieder zu lachen - ab und zu.
Es hilft ja nichts, die Mundwinkel hängen zu lassen. Manchmal muss man sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Das gelingt längst nicht immer, aber manchmal schon.
Du bist einer der Gründe, warum mir so eine Lebenseinstellung möglich ist.
Du bringst mich immer wieder zum Lachen ... noch niemand hat mich spozusagen "Schnäpschen danach" betrachtet, als fleischgewordener Underberg, als Fencheltee - sozusagen.
Kleidchen? Für mich? Ohhh! :-))))) herrlich!
Mit Mümü und allem drumherum
Dis Fränzi

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Liebe Johanna!
Oh ja, Dich hätte ich auch gerne in meiner Nähe. Dann könnten wir zusammen auf den Zug :-). Und so.
Danke für Deine lieben Worte und guten Wünsche. All das sind Gründe, warum mir selbst in solchen Zeiten Geschichten wie diese gelingen.
Herzlichst und mit Schweizer Grüesslis
Deine Franziska

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Liebe Elisabeth
Weil es Menschen wie Dich gibt, weil es so tolle Kinder wie die Deinen gibt - all das ist mir Ansporn, meinen Kopf nicht hängen zu lassen. Ich schreib ein Geschichtchen - und so viele Menschen schreiben mir zurück. In einer Art und Weise, die mir alles ein wenig leichter macht.
Geschichten wie diese, sind die Dankbarkeit an Menschen wie Dich, die daran Freude haben.
Danke! Und übrigens: meine Beiden Jungs ... genau solche Geschichten kenne ich auch. Und denke gerne daran zurück!
Herzlichst und ganz lieben Dank für alles
Deine Franziska

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

Liebe Rinjehaun
Das alles fällt mir auf und ein, weil Menschen wie Du daran Freude haben und ich so liebe Worte zurück kriegen.
Und es hilft mir. Momentan sogar sehr.
Danke!
Ich werde mir Mühe geben, dass Du auch weiterhin zum Vorlesen gezwungen wirst. :-)
Soooo toll!

Herzlichst und mit Grüesslis
Deine Franziska

Sternenzaubers Geschichtenhimmel hat gesagt…

AN ALLE:
Heute hat mein Katerli das erste Mal seit langem wieder ein bisschen gelacht.
Die letzten Tage war einer schlechter als der andere - gestern der absolute Tiefpunkt.
Und heute ... irgendwie kräftiger, positiver, kateriger!
Ich liebe diesen Tag!!!!!
Herzlichst
Eure Franziska Sternenzauber

Jouir la vie hat gesagt…

Moin Franziska!

Es ist nicht allein der Arzt, nicht seine Diagnose, nicht Medikamente die uns eine Krankheit ertragen lassen, eine Heilung möglich macht, es ist vor allem der unbedingte Lebenswille und der Glaube an eine Gesundung, der Hoffnung macht das gesundheitliche Schicksal zu ertragen und zu überwinden.
Doch auch alles das reicht nicht aus, wenn wir dazu noch unseren Humor verlieren würden.
Und den, liebe Franziska, den trägst Du nicht nur in Dir, Du trägst ihn auch in Form Deiner netten Geschichten lautlos durch die Lüfte des Himmels in die weite Welt hinaus, ohne Schranken, standhaft jedem Wetterchen.
Das ist eine Besonderheit, die nur wenigen in schwieriger Situation so gegeben ist.
Und ich persönlich hoffe nicht nur, ich glaube auch fest daran, dass dieses Zaubermittelchen Humor Dir die beste verordnete Medizin ist, Dich wieder auf die Beine bringt.
Ist oftmals der Weg zur Gesundung oder teilweise dieser auch sehr beschwerlich und lang, Dein Humor wird Dir ein guter Begleiter sein, den gegebenen bescheidenden Möglichkeiten nach ebenso Deine Leser...

Sei lieb gegrüßt
Kvelli

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