Dienstag, 17. November 2009

GRAZIE MARIA!

Ich habe es Dir ja schon berichtet - letzten Samstag war ich im Outletshop meiner Wahl und habe mich - wie böse Zungen behaupten - glücklich geshoppt. Nein nein, so ist das ja nicht. Aber eine gewisse Zufriedenheit ist nicht zu verleugnen. Ich bin halt auch nur eine Frau.
Dieser Zufriedenheit Genüge zu tun, sie vollends auzukosten - dies beinhaltet ritualgemäss den anschliessenden Gang zur kleinen Eisdiele Venezia.

Oberhausen Osterfeld Süd, Industrie-Viertel.
Nicht wirklich eine schöne Gegend - Du und ich, wir möchten Beide da nicht wohnen. Ein bisschen unheimlich, das Ganze. Mit dem Überschreiten der Strasse, überschreite ich immer gleichzeitig auch die Grenze zu einer schier anderen Welt. Frauen gehen an mir vorbei - das Kopftuch tief ins Gesicht gezogen, dunkle Mäntel über langen Kleidern, den Blick nach unten gerichtet, links und rechts Kinder an der Hand, schwere Tüten schleppend.
Ihre Männer, Brüder, Väter zusammengerottet an den Strassenecken - sie schauen dafür umso mehr. Machen Bemerkungen - und ihren Blick spürt man im Rücken. Ich als bunter Vogel falle da natürlich noch umso mehr auf.
Auch wenn ich dies sonst sehr geniessen kann, hier nicht.
Bei den Sitzbänken die Jugendlichen - mit Bier- und Schnapsflaschen in der Hand. Die Jungens mit Jeans auf Kniekehlen-Halbmast, Käppis mit einem geschätzten 50cm Schirm, laut lärmend, gröhlend. Die Girls aufgetakelt und äusserst unvorteilhaft "aufgehübscht", im Vergleich zu Ihren Müttern ein peinlicher Gegensatz. Verkehrte Welt....
Diese Menschen wohnen in einer Gegend, die immer ruhiger wird. Bei vielen Geschäften sind die Schaufenster mit Pappe abgedeckt, in ungelenker Schrift ist auf vergilbtem Papier geschrieben "ZU VERMIETEN", meist aber in einer mir fremden Sprache. Andere Läden sind verbarrikadiert mit dicken Gittern.
Es herrscht Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Resignation.

Und hier, inmitten dieser für mich eigenartigen Welt, deren Stille nur ab und zu - viel zu selten - von Kinderlachen unterbrochen wird, steht diese kleine, alte Eisdiele.
Die grellbunte und doch in der Farbe abgeschossene, überdimensional grosse Eistüte aus Plastik ist das Aushängeschild. Das Angebot ist auch hier auf A4-Blätter geschrieben und innen an die Türe geklebt. "Eis selbstgemacht - auch als Diabetikereis erhältlich", die Schrift kaum mehr lesbar. "Frische Waffeln", "Hausgemachte Torten und Kuchen".

Wenn man die Türe öffnet, ertönt ein vielstimmiges Klingeling - die alten, orangen, abgewetzten Plüschsessel strahlen diesen ganz bestimmten 70-er Jahre-Mief aus - rumstehende Dekostücke haben schon bessere Zeiten gesehen, vor Jahrzehnten. Uralte Leuchter haben dieses diffuse Licht welches entsteht, wenn alles verstaubt ist und nur noch die Hälfte der Glühbirnen funktioniert.
Die Frau am Tresen schaut jeweils nur kurz auf, nickt mir zu. Sie trägt immer eine dunkle Kittelschürze, ihr ganzes Wesen wirkt verlebt, desilllusioniert, resigniert, abgearbeitet, verbraucht, alt und sehr müde. Noch nie in all den Jahren seit ich diese Eisdiele besuche, stand eine andere Person als sie hinter dem Tresen.
Ist sie nicht gerade am Putzen, so bedient sie, kreiert Eisbecher, backt Kuchen, garniert Torten.

Wenn ich mir einen Platz ausgesucht habe, bringt sie mir meist wortlos die Karte und man könnte meinen, ich wäre noch nie dagewesen. Alle 6 Wochen bestelle ich mir eine Waffel mit heissen Kirschen, mit Vanilleeis und einem Tupfer Sahne, dazu einen latte macchiato.
Und was dann kommt, ist für mich immer aufs Neue besonders, erstaunlich und erwähnenswert:
Mit welcher Hingabe diese Frau die Lebensmittel behandelt - wie sachte sie den täglich frisch gemachten Teig auf das Waffeleisen fliessen lässt, die Kirschen heiss macht, frischen Rahm schlägt - von Hand! - und in den Spritzbeutel füllt. Mit welcher Sorgfalt sie mit dem Löffel Vanilleeis aus dem Kübel zu Kugeln formt. Die Waffeln sind fluffig, weich, schmelzend und duften wunderbar. Das Eis ist durchsetzt mit diesen kleinen Samen der Bourbon-Vanille - fein, herrlich! Serviert es mit einem dieser Blicke, mit dem Mütter ihre Kinder betrachten.

Sie stellte mir auch am Samstag wieder den Teller hin - ich sagte: "Danke - das sieht aber lecker aus und wird wie immer auch so schmecken" - erst da schien sie zu realisieren: "Oh - Sie sind es! Guten Appetit" - und zum ersten Mal huschte ein scheues Lächeln über ihr Gesicht.

Während ich genoss, kam eine alte Frau rein, setzte sich an den Nebentisch und wurde bedient - "wie immer?" ... "ja, wie immer" - und schon bekam die Frau ihren wohl gewohnten Eisbecher mit dem wohl gewohnten Kaffee. Alles ging mehr oder weniger wortlos vor sich, aber keineswegs gefühllos. Da war Vertrautheit und eine Art von wortloser Verbundenheit. Interessant!
2 kleine Kinder drückten sich unterdessen die Nasen am Schaufenster platt. Trotz des zügigen Novembertages waren sie nur mit Jeans und dünnem Pulli bekleidet. Und auch hier - ohne dass gesprochen wurde - bekamen die 2 Kleinen eine Eiswaffel mit Schokoeis, einfach so. Sowohl die liebevolle Geste des Schenkens, wie auch die glänzenden Augen der Kinder sagten mehr als tausend schöne Worte!

Die Waffel gegessen, den latte getrunken - es war für mich an der Zeit nach Hause zu gehen. Mein Schatz holte mich gleich ab. 3 Euro und 90 Cent hatte ich zu zahlen, 5 Euro drückte ich ihr in die Hand. "Ist ok so". Sie schaute mich ungläubig an. "Weil Sie sich so grosse Mühe geben, weil ich das schätze und gerne wieder kommen werde".

Ihr ernstes Gesicht verwandelte sich in eine strahlende Sonne, ihr Lächeln machte das ganze Drumherum vergessen. Sie streckte mir die Hand hin: "Ich heisse Maria".
Zum ersten Mal war diese Frau schön und viel jünger, als ich gedacht hatte.

Bis nächstes Mal, Maria. Und ... GRAZIE...!

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