Sonntag, 4. April 2010

DIE LIPPENSTIFT - ATTACKE ODER " ...WEISST DU NOCH... "

Mit "... weisst Du noch ..." beginnen fröhliche, schöne, lange Abende. Mit " ... weisst Du noch ..." gräbt man freudig in lieben Erinnerungen und Andenken.
"Weisst Du noch ..." ist immer der Anfang von etwas Gutem.

Ich bin mittlerweilen in dem Alter, wo bereits meine Kinder die selten gewordenen Familienabende mit "...weisst Du noch... " einläuten. Spannend, an was sich meine Jungbrut so alles erinnert.

Während sich die vollen Teller schier schneller leerten als ich nachschöpfen konnte, fiel genau dieser Satz. Sohn Moritz führte uns in sein 2tes Lebensjahr zurück - Mäxchen hatte damals eben gerade das Licht der Welt erblickt.
"Weisst Du noch, Mam - Dein teurer Lippenstift"? Noch gestern wurden meine Augen leicht feucht und ich konnte einen Seufzer eben gerade noch rechtzeitig runterschlucken, als ich an diese Geschichte erinnert wurde.
Das war aber auch .... Kind! Nein wirklich! Wie konntest Du damals nur!?

Wir waren eine junge Familie, die kleine Kerle unser ganzer Stolz. Gerne habe ich damals meinen Beruf für die Familie aufgegeben, habe zurückgesteckt und statt mir was zu kaufen, viel lieber Moritz einen neuen Lieblingsbären geschenkt und Mäxchen die tolle Rassel.
Jajaja ... Mütter!


Doch irgendwann sah ich diesen wundervollen, sündhaft teuren Lippenlift in genau diesem speziellen Korallenrot, das ich schon immer wollte. Ich musste dieses, meine persönlichen Finanzen auf den Kopf stellende, exklusive Stück haben! Alleine die edle, goldene, gerillte Hülle! Mein Gesicht drückte sich ans Schaufenster dieser Parfumerie, welche eigentlich nicht in meiner Preiskategorie lag.
Und ich wahrscheinlich auch nicht in deren Zielpublikum, welches von den Damen mit Pelz und Edelmarken-Kostümen frequentiert wurde. In teure Düfte eingehüllt und den Chihuahua im Kroko-Lederbeutel tragend.

Ich trug Turnschuhe, Jeans, Shirt und führte an der einen Hand einen quirligen 23-monats-Wonneproppen und mit der anderen schob ich den Stadt-Buggy mit dem 2-monats-Max.
Doch angesichts dieses Lippenstiftes verblasste das Drumherum - und mein Wunsch wurde übermässig, ich betrat den Laden und fragte, ob ich DEN mal ausprobieren dürfe. Die Verkäuferin im seidenen Chanel war dermassen überrumpelt, dass sie es wirklich zuliess.
Ohhh! Die crèmige Konsistenz, dieser Perlmutt-Schimmer (war damals schon hochmodern - heute heisst das Gleiche "Diamond gloss" oder ähnlich, die Wirkung ist wie gehabt), wunderbar, einfach wunderbar!
Sobald ich dieses farbige Elixier mir ins Gesicht, auf die Lippen gezaubert hatte - war ich viel mehr als Mutter. Ich war wieder Frau - nein Vamp - die pure Versuchung!
Lippenstift! Nur Lippenstift? Beileibe nein! Welch erhabenes, seltenes, rot-begehrliches Fühlen einer Vollblutmama zwischen Stinkewindeln und dreckigen Lätzchen.

Dieses Burnergefühl ist vielleicht im Umstand zu finden, dass ich gerade in der Abstillphase war - mit diesen sexy Wattepads im Still-BH - die keinerlei Wirkung haben, wenn Kind jämmerlich nach Flüssignahrung schreit und einem die Muttermilch das Shirt so richtig dekorativ vollfleckt ...!

So habe ich denn den Betrag von ca. 3 Packungen Pampers, 1ner Monatspackung Folgemilch und 3 Schnuller mit Aufdruck "MAMAS LIEBLING" gegen den Luxus eines Edel-Lippenstiftes eingetauscht.
Das schlechte Gewissen von damals - heute lächle ich darüber ... ich hätte es mit öfter gönnen sollen!

Die Schritte nach Hause ging ich wie auf Wolken. Freudig dem Abend entgegenblickend.
Und was passierte mit meinem Versuch des fraulich-begehrlichen Lockrufes nach Chakka-Chakka? Ich finde Moritz auf dem Klodeckel stehend, über und über mit MEINEM wunderbarst rotem Lippenstift einbalsamiert, mit dem restlichen Stumpen Edelrot im Immer-noch-Betrage von mindestens Fr. 50.-- die unebenen Fliesen des Badezimmers dekorierend. Fröhlich quietschend und ganz stolz ob seinem Kunstwerke.

Für zugegebenermassen geschätzte 0,8 Sekunden hätte ich den kleinen Lausejungen damals ohne Nachzudenken verschenkt. Für Selbstabholer sogar noch die Anreisekosten übernommen! Aber wie erwähnt - nur für 0.8 Sekunden.
Dann kurz durchatmen - und lachen.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Noch heute muss ich sagen, dass die Qualität des Lippenstiftes hervorragend gewesen sein muss. Es dauerte Stunden, die Farbe aus den beigen Fliesen und aus den weissen Fugen zu putzen. Da musste letztendlich Javelwasser ran - ein ätzendes Bleichmittel mit sehr ... ähhhm ... eigenwilligem Duft.
Das Kinde seinerseits musste ich erst einweichen, vierfach einseifen und dann schrubben mit Hand, Waschlappen, Massagelappen, Babybürste. Der arme Kerl war letztendlich fast so rot wie vor der Lippenstift-Attacke!

Gestern Abend wurde herzhaft darüber gelacht.
Wir haben uns verziehen.


GEGENSEITIG.

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