Freitag, 26. Februar 2010

KARTOFFELSTOCK MIT SOSSE

"Liebe Frau Freundlich

Sie können es nicht wissen - und wahrscheinlich werden Sie es nie erfahren. An einem Tag wie heute dürfte Ihnen dies auch völlig egal sein.
Aber erzählen möchte ich es trotzdem:
Immer, wenn mir was auf der Seele kniet, wenn es gilt einen imaginären Berg zu besteigen - dann koche ich mir Kartoffelstock mit Sosse. So wie Mutter Beimer in der "Lindenstrasse" ihre Spiegeleier brutzelt.


Sie, liebe Frau Freundlich, haben heute Ihren letzten Arbeitstag. Wir haben die letzten 17 Monate einander mindestens 1x in der Woche Hallo gesagt, ein paar Worte geplaudert, waren uns eine gute Gewohnheit. Meist am Mittwoch kam ich vorbei in dem kleinen Laden in dem Sie arbeiten, auf dem Weg zum Bahnhof, habe mir meinen Lieblingssalat geholt und mich gefreut zu hören, wie es Ihnen geht. Sie haben den griechischen Salat meist zur Seite gelegt gehabt, extra für mich - weil sie wusste, ich komme knapp vor Feierabend und ansonsten leer ausgegangen wär.
Mit einem strahlenden Lächeln haben Sie mich begrüsst "oh, schön Sie wieder zu sehen. Geht´s gut? War ihr Tag erfolgreich?", haben sich nach meinen Wünschen erkundigt "sicher ihren Salat – oder? Darf ich sonst noch was dazulegen? Heute kann ich ganz besonders gerne das Kernenbrot empfehlen - sooo lecker!".
Oft habe ich mir noch einen dieser knallroten Äpfel mitgenommen - sie haben mir immer den leuchtendsten, den grössten rausgesucht. Um mir eine Freude zu machen.

Wenn ich müde, erschöpft aus der Wäsche geschaut habe, dann haben Sie mir zugeblinzelt und mich zum Lachen gebracht. War ich in Eile, haben Sie 3 Gänge höher geschaltet, damit ich bloss meinen Zug noch erreiche. Ab und zu gab es ein feines Guetzli zum Probieren mit auf den Weg. Stets gute, liebe Worte, welche mich durch all die Wochen der 17 Monate begleitet haben.
Auf Sie, liebe Frau Freundlich, habe ich mich immer speziell gefreut.

Diesen Mittwoch war eine Stille in diesem Laden, welche ich nicht kannte. Sie hatten ganz andere Augen als sonst. Bedienten mich - freundlich wie immer - aber es war trotzdem anders. Gerade wollte ich aus der Türe, als Sie mich fragten: "Kommen Sie vielleicht am Freitag noch vorbei?". Ich antwortete, dass ich da zu Hause sei und leider erst am nächsten Mittwoch wieder Salat holen werde. Da kamen Sie hinten dem Tresen hervor, standen vor mich hin und sagten: "Dann möchte ich mich jetzt von Ihnen verabschieden..." und streckten mir Ihre Hand hin. Ich hörte ihre Worte genau - aber ihre Augen, ihre Haltung, ihre Stimmlage - die erzählten noch viel mehr. Deshalb wagte ich zu fragen: "Warum?".

"Ich bin 53 Jahre alt. Und hatte mir letzten September die Hand gebrochen, fiel 2 Wochen aus. Im November steckte ich mich mit der Schweinegrippe an und musste auch da 10 Tage zu Hause bleiben. Tja. 2 Tage vor Weihnachten kriegte ich die Kündigung mittels Einschreiben. Ohne Vorwarnung. Ohne ein Wort. Ich sei mit meinen 53 Jahren halt anfälliger.
Und deshalb habe ich am Freitag meinen letzten Arbeitstag".

Eine Eiseskälte überzog in diesem Moment meinen Körper, mein Herz, meine Gefühle. Wie kann man nur ...???? Sie, die der Inbegriff einer guten Verkäuferin ist, die Seele eines Ladens, das Herz. Mit welcher Berechtigung und welchem sozialen Verantwortungsgefühl lässt sich ein solcher Entscheid rechtfertigen? Was fühlt ein Personalchef, eine Personalchefin, die solche Kündigungsschreiben unterschreibt? Kann man da am Abend entspannt in den Spiegel schauen, sein Spiegelbild betrachten? Mir würde speiübel dabei!

Ich weiss, es gibt wirtschaftliche Kriterien, welche leider - gerade in der heutigen Zeit - zu solchen Massnahmen zwingen. Das ist schlimm genug. Ich weiss aber, dass gerade dieser besagter Laden - übrigens ein sehr bekannter Name mit keinerlei Schwierigkeiten im Absatz - personell auf junge, ungelernte, billige Kräfte setzt, damit der Gewinn noch ein bisschen höher ausfällt. Die noch verbleibende Verkäuferin da, sucht gerade eine neue Arbeitsstelle, weil sie diese Personalpolitik nicht mehr mittragen kann, nicht mehr mittragen will. Grundsätzlich nicht mehr ertragen kann. Sie ist mit ihren 2 Jahren hinter der Theke die Dienstälteste. Man stelle sich das vor!

"Frau Freundlich, das tut mir wahnsinnig leid. Und ich werde Sie vermissen. Haben Sie keine Angst, SIE werden bestimmt bald wieder eine neue, eine gute Stelle finden, in der Sie geschätzt werden. Ich danke Ihnen für alles. Sie sind ein toller Mensch und ich mag Sie so gerne. Passen Sie auf sich auf. Ich denke an Sie und drücke Daumen" - habe Frau Freundlich kurz in den Arm genommen und bin förmlich aus dem Laden abgehauen. Ich wollte nicht, dass sie plötzlich noch meine feuchten Augen bemerkt. Meine Betroffenheit war deutlich und ging ihr ans Herz.


Ich werde persönlich keinen Fuss mehr in dieses Geschäft setzen. Und wenn der Salat da noch so gut ist. Ich weiss, es wird nicht viel nützen - auf jeden Fall wird die Geschäftsführung von mir einen Brief kriegen. Aber auch das wird nichts bringen. Leider. Wo keine Menschen, bloss Leute und Geld-Verwalter sitzen, wird sich keine Menschlichkeit finden. Und kein Mitgefühl. Gehör schon gar nicht. Trotzdem.

Ich werde jetzt in die Küche gehen, mir Kartoffelstock mit Sosse zubereiten.
Und an Sie, Frau Freundlich, denken."

JA, DAS WERDE ICH.

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